Jeder ist sich selbst der Nächste?!
Max Beckmann malt Pilatus voller Entschlossenheit, mit energisch vorgeschobenem Kinn. Doch der Stuhl, des römischen Gouverneurs in Jerusalem wackelt, denn im fernen Rom werden die Karten der politischen Macht neu gemischt. Als Sejanus -der zweitmächtigsten Mann im römischen Reich und persönliche Freund von Pilatus- in Ungnade fällt und gestürzt wird, da reichen die politischen Erschütterungswellen von Rom bis nach Jerusalem. Pilatus -der einstige Günstling des Sejanus- verliert seine Rückdeckung. Nun muss Pilatus sein Fähnchen wohl neu in den Wind hängen... Wiederholt hatten die jüdischen Oberen ihm gedroht, ihn in Rom zu verklagen wegen seine extrem judenfeindliche Politik. (vgl. z.B. Joh 19,12)
Der Stuhl des Pilatus wackelt – und mit dem Instinkt des Taktikers wittert Pilatus eine Chance. Sollten die Juden doch diesen Rabbi Jesus als Bauernopfer haben. Der Gotteslästerung hatten sie diesen friedlichen Rabbi angeklagt. Doch eigentlich waren die Hohenpriester wohl nur neidisch, dass dieser Jesus aus Nazareth eine immer größere Schar von Anhängern um sich sammelte. Nein, gefährlich war dieser Mann nicht. Religiöser Fanatiker sehen anders aus. Doch dieser Rabbi Jesu könnte ihm, Pilatus, nützlich sein...
Wirklich schuldig sprechen kann er diesen stillen, besonnen Mann nicht. Retten kann er ihn aber nicht, das würden den Zorn der Juden vollends entfachen. Dann möge eben die Menge sich an ihm versündigen, wenn sie unbedingt sein Blut sehen wollen. Eine faire Chance würde er dem Angeklagten geben: Jesus oder Barabbas. Ein harmloser Frommer oder ein überführter Meuchelmörder...
Ich auf jeden Fall wasche meine Hände in Unschuld... Ich kann mich nicht für diesen Jesus verwenden. Der Druck ist zu stark. Sollte ich etwa meine Karriere opfern für einen jüdischen Rabbi? Jeder ist sich selbst der Nächste – das ist die Lebens-Strategie des Pilatus.
Jeder ist sich selbst der Nächste – in Kriegs- und in Friedenszeiten eine gängige Strategie. Doch die Passionszeit will mich lehren, dass Leben und Sieg und Frieden anders gewonnen werden. Nämlich so, dass der, den sie verhöhnt, erniedrigt, geschlagen, verletzt und getötet haben, dass der gehorsam war bis zum Tod. Aus diesem Gehorsam, aus diesem Sich-Gott-anvertrauen, aus diesem Sich-dennoch-auf-Gott-verlassen entspringt Leben und Sieg und Frieden. Für mich und für diese friedlose Welt.
Pfr. Roland Krause, Hausen