Zeit für Vergebung
Das Telefon in der Diakonischen Bezirksstelle klingelt. Eine Frau aus dem Kirchenbezirk ruft an und möchte einen Beratungstermin. Auf die Frage hin, was ich denn konkret für sie tun könne, antwortet sie: “Ich möchte nicht bitter werden”. Im darauffolgenden Hausbesuch erarbeitet sie einen Weg, um mit ihrer Tochter wieder ins Gespräch zu kommen.
Reinhard Mey singt in einem Lied, in dem es um Beziehungen geht: “Es ist so leicht zu kränken, und so schwer einzurenken.” Es ist das, was wir selbst immer wieder erleben: ob im Privatleben, oder sogar im “Geschäft”. In meinen Berufsjahren hier im Ev. Kirchenbezirk wurde mir deutlich, daß die Kränkung auch bei uns keine Unbekannte ist. Besonders eng wurde es für mich, wenn ich auf der Seite der “Täter” oder vermeintlich “Schuldigen” war, z.B. indem ich ehrenamtlichen MitarbeiterInnen nicht gerecht werden konnte.
Eine Hilfe ist mir in diesen Situationen, “systemisch” zu denken. Größere Zusammenhänge wahrzunehmen bedeutet oft, die eigenen Handlungsmöglichkeiten realistischer zu sehen.
Genauso wichtig ist es für mich aber, aus der Vergebung heraus zu leben. In einem Buch von Klaus Berger fand ich hierzu eine interessante Stelle: Die Vergebung sitzt auf der Anklagebank. Starke Gegner haben sich vor ihr aufgebaut: Die Statistik, der Fortschritt oder die Vernunft, ja sogar die Lebenserfahrung sprechen sich gegen sie aus. Halten sie für unpraktikabel. Verteidigt wird sie durch die Barmherzigkeit, die Gnade, die Partnerliebe und auch die Kinderfreundlichkeit.
Zuletzt steht zur Verteidigungsrede die Liebe Gottes auf und sagt: “Gott hat von sich aus damit angefangen und ist sehr weit damit gegangen. Wenn es eine Chance gibt, aus dem Kreislauf von Kränkung und Schuld loszukommen, dann ist dies dort, wo sich für mich eine Tür öffnet: Bei Jesus, bei Gott, dem Vater.” Das hohe Gericht entscheidet sich: Pro Vergebung. Denn ohne Vergebung kann es in keiner Beziehung Hoffnung geben.
“Herr, mach´mich zum Werkzeug Deines Friedens”. Gebet des Franz v. Assisi
Brackenheim, 15.10.2003
Ute Neuschwander, Dipl.Sozialpädagogin (FH), seit
10 Jahren Mitarbeiterin der Diakonischen Bezirksstelle
Brackenheim