Ein gefährdetes und ein gefährliches Buch: die Bibel
Eine unscheinbar kleine „schwimmende Bibel“, in einem großen Wasserkelch bei
der Zaberfelder Bibelausstellung im Oktober. Genauer: eine Ausgabe des
Lukas-Evangeliums in russischer Sprache, aus „Papier“ wie harte Plastikfolie,
deshalb unsinkbar. Die Erklärung stand gleich dabei: „Aus der Zeit der
Christenverfolgung in Russland“. Gemeint war die Zeit Stalins, der den
Kommunismus als brutales Machtsystem für sich umfunktionierte. Auch Priester,
Nonnen, Gemeindeleiter, einfache Christen wurden verfolgt.
Eine Bibel zu
besitzen, das konnte Gefahr für Leib und Leben bedeuten. Doch ein mutiger Christ
druckte in geheimer Aktion solche absichtlich unscheinbaren Kleinst-Bibeln. Sie
konnten bei Hausdurchsuchungen schnell in ein Wasser geworfen oder in eine
Pfütze getreten werden. Und man konnte, wenn die Gefahr vorüber war, sie
abwaschen und an versteckten Orten wieder daraus vorlesen – den vielen, die in
der Diktatur der tausend Lügen sich danach sehnten, Worte der Wahrheit zu hören.
Um dieser Erfahrungen willen sind diese Bibeln besonders wertvoll. Sie
haben wohl manchen Härtetest bestanden – und russische Christen mit ihnen.
Ja, die Bibel: ein gefährdetes Buch, und ein gefährliches zugleich. Das
wussten oder spürten die Gewaltherrscher aller Zeiten. War darin nicht etwas von
der ursprünglichen Gleichheit und Freiheit der Menschen zu lesen? Und dass sich
die Christen den Gewaltmechanismen nicht anpassen sollten? Dass sie als Menschen
Gottes eine unverlierbare Würde besitzen und nicht den Machthabern gehören?
Ich denke da auch an eine eindrückliche Geschichte aus jenem Land. Vor etwa
40 Jahren habe ich sie irgendwo gelesen. In einem Moskauer Theater sei es
gewesen. Eine Schauspielerin sei beauftragt worden, die Anfangssätze der
„Seligpreisungen“ zu lesen, um sofort die Bibel verächtlich wegzuwerfen. Ja, sie
las: „Selig, die arm sind vor Gott...“, der Saal habe gegrölt. Sie habe weiter
gelesen: „Selig die Trauernden“, das Grölen sei leiser geworden – von der Trauer
wussten ja viele. Die Schauspielerin habe das Buch nicht wegwerfen können, nicht
aufhören können zu lesen: „Selig, die keine Gewalt anwenden... die hungern und
dürsten nach der Gerechtigkeit...“ Und niemand habe mehr grölen können – alle
hätten zugehört, bis zum Ende: „Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt
werden, denn ihnen gehört das Himmelreich“.
Ich weiß nicht die Reaktionen
hinterher, vermutlich durfte diese mutige Frau nicht mehr öffentlich auftreten.
Aber ich weiß: So kann das Wort Gottes ein Loch in die Nebel der Lüge reißen –
so muss es sie zerreißen, immer wieder, immer wieder neu. Die Bibel ist auch ein
starkes Buch!
Am 28. Januar ist Ökumenischer Bibelsonntag. In diesen Wochen vielerorts auch Ökumenische Bibelwoche. Denn auch nach dem „Jahr der Bibel“ ist es gut und tut es gut, immer wieder neu diese Kraft der Bibel aufzuspüren; und auf dieser Spur zu bleiben.
Hermann Aichele-Tesch