Aus Schaden klug werden...
Die Gedenktage zum 60-jährigen Kriegsende häufen sich in diesen Wochen. Es sind doch ziemlich viele Menschen, die davon in irgendeiner Weise betroffen sind. Und bezeichnenderweise können einige mit dem Abstand der Jahre offener über ihre Erfahrungen reden als am Anfang. Doch es gab ja – und gibt ! –dabei Hemmungen, die man wohl verstehen kann. Eine der deutlichsten Hemmungen wird natürlich darin sichtbar: So viele wissen zu berichten von dem, was sie Schreckliches erlitten; von so wenigen hört man, was durch sie selber andern angetan wurde. Beim Unrecht, das sie geschehen ließen – vielleicht geschehen lassen mussten – beginnen die blinden Flecken.
Das ist „nur natürlich“. Und die, die nicht in den schrecklichen Situationen steckten, sollten mit ihrer Anklage nicht zu vorlaut sein. Nach einem klugen Wort Manfred Rommels ist es ohnehin merkwürdig, wenn die Jüngeren von den Älteren verlangen, dass jene im Voraus so klug hätten sein sollen, wie sie selber – vielleicht! – im Nachhinein daraus klug geworden sind.
Doch die blinden Flecken können gefährlich werden, sie können das öffentliche Klima gefährlich vergiften. Und es ist wohl verständlich und eben auch „nur natürlich“, wenn die, die mehr zu den Opfern jener düsteren Zeiten gehören, bei entsprechender Klimavergiftung misstrauisch aufhorchen. Etwa bei dem sich selbst entlarvenden Vorschlag, man solle „doch endlich“ die Vergangenheit ruhen lassen.
Doch! Die Gedenktage bleiben wichtig – nicht um vordergründig anzuklagen, sondern um eben wenigstens im Nachhinein sowohl aus erlittenem als auch aus angerichtetem Schaden klug zu werden. Und: Weil es sich lohnt, auf die Vorbilder zu hören, die in jenen düsteren Zeiten standgehalten haben und deren Einsichten zu uns herüber klingen. Dietrich Bonhoeffer, einer der wahrhaft Mutigen, wurde vor genau 60 Jahren am 9. April hingerichtet, am Montag nach dem „Weißen Sonntag“ bzw. „Quasimodogeniti“. Etwas über ein Jahr vorher schreibt er aus dem Gefängnis:
„Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen... Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten.“
Das sind Einsichten, die gerade für die Gedenktage wichtig sind, die gerade da weiterhelfen – und weiter führen als bloße Anklage oder bloße Selbstrechtfertigung.
Hermann Aichele-Tesch